Die heilige Ursula – eine Kölner Heilige mit Ausstrahlung

Vom Ursula-Schifflein und der Ursula-Legende

Ausgangspunkt des Festes der heiligen Märtyrerin und Jungfrau Ursula und ihrer Gefährtinnen am 21. Oktober ist Köln, wo in der „Goldenen Kammer“ der bis in die Spätantike zurückreichenden Kirche Sankt Ursula (von 922 bis 1802 Kanonissenstift, heute Pfarrkirche) die Gebeine von „11.000 jungfräulichen Märtyrerinnen“ aufbewahrt werden. Die Kirche steht auf dem nördlichen römischen Gräberfeld Kölns.

Auslöser des Ursula-Kultes scheint eine dreizehnzeilige steinerne Inschrift zu sein, von der umstritten ist, ob sie aus spätantiker oder frühmittelalterlicher Zeit stammt. Jedenfalls wird auf ihr mitgeteilt, ein dem Senatorenstand angehörender Clematius habe am Ort des Martyriums heiliger Jungfrauen eine Kirche wieder hergestellt. Gesichert ist, dass bereits im 3. Jahrhundert an dieser Stelle eine Kapelle über drei Gräbern erbaut worden war. Im 10. bis 12. Jahrhundert entstand die Ursulalegende. Kern der Legendenbildung ist die Annahme, Ursula sei eine britannische Königstochter gewesen, die nach einer Romwallfahrt mit ihren Gefährtinnen vor den Toren Kölns von den die Stadt belagernden Hunnen erschlagen worden sei. Der Name „Ursula“ für die Anführerin der Märtyrerjungfrauen taucht aber erst im 10. Jahrhundert auf; zuvor waren verschiedene andere Namen genannt worden. Vielleicht geht der Name Ursula auf den alten Grabstein für ein achtjähriges als „unschuldige Jungfrau“ verstorbenes Mädchen zurück, der bis heute aufbewahrt wird.

Die Steigerung der Zahl der Gefährtinnen von elf auf elftausend scheint die Folge eines Lesefehlers im Mittelalter gewesen zu sein, der allerdings durch die zahlreichen „Reliquienfunde“ im Umfeld von Sankt Ursula seine Bestätigung zu finden schien. Von diesem ergiebigsten Reliquienfundort nördlich der Alpen stammen die 1.800 Kopfreliquien in Sankt Ursula und die 1.000 weiteren im nahen (ehemaligen) Zisterzienserkloster Altenberg. Rund 4.000 Reliquienübertragungen im deutschsprachigen Raum, Frankreich, Spanien, Norditalien, Niederlande, Skandinavien und im Osten (z.B. Riga, Krakau) lassen sich nachweisen. Die Intensität der volkstümlichen Ursulaverehrung wird durch zahlreiche Einblattdrucke besonders im 15. Jahrhundert belegt. Vor allem in der Malerei sind Darstellungen der Heiligen in Einzelbildern und in ganzen Zyklen ein eindrucksvoller Beleg für die weite Verbreitung des Ursula-Kultes.

Im 13.–15. Jahrhundert entstanden vielerorts (z. B. in Köln, Straßburg, Krakau …) die sogenannten „Ursula-Schifflein“, ursulanische Bruderschaften; an das Abzeichen, das Schiff der heiligen Ursula, knüpfte sich die Vorstellung einer geistigen Fracht frommer Werke sowie die Idee des Lebens als irdische Pilgerfahrt. Die Bruderschaftsmitglieder – auch Bischöfe, Äbte und Könige – hofften, durch die heilige Fracht des „Ursula-Schiffleins“, die bei der Aufnahme „als Fahrpreis eingezahlten“ oder versprochenen Messen, Gebete und guten Werke, unter dem Schutz der heiligen Ursula sicher in den Hafen der ewigen Seligkeit einlaufen zu können. Städte (z.B. Köln), Länder und Universitäten (z.B. Sorbonne, Coimbra) stellten sich unter den Schutz der Heiligen. Im 16. Jahrhundert gab Angela Merici ihrer neuen Gründung, den Ursulinen, die Heilige als Patronin. Bis zum heutigen Tag gilt die heilige Ursula als Patronin der Sterbenden, Erzieher/-innen, Tuchhändler und kranken Kinder.

Der Gedanke an den Tod, das eigene Sterben, und die Angst, ohne Beichte und priesterliche Lossprechung dem gnädigen aber auch gerechten Gericht Gottes anheim zu fallen, beschäftigte den mittelalterlichen Menschen nicht nur an den Gedächtnistagen für Tote. Die sprichwörtliche Sterbensangst war ganzjährig und lebenslänglich präsent, das Leben im Angesicht des Todes eine unabweisbare Realität, gegen die man sich vielfältig zu sichern suchte. Hierzu gehörten unter anderem trickreiche Vorsichtsmaßnahmen, wenn etwa der heilige Christophorus in vielen Kirche überlebensgroß in Eingangsnähe dargestellt wurde, weil man glaubte, wer ihn an einem Tag sehe, werde nicht sündenbeladen sterben. Hierhin gehört aber auch die Bereitstellung von „Seelgerät“, also Maßnahmen, die – im Leben bereitet – Sterben und Gottes Gericht barmherzig werden lassen. Eine Hilfe dabei waren Bruderschaften, die den heutigen Menschen meist nur noch über die Sankt Sebastianus-Schützenbruderschaft bekannt sind. Marianische Bruderschaften gibt es nur noch wenige. Das Ursula-Schifflein ist nicht einmal mehr in Köln für eine nennenswerte Zahl von Menschen ein Begriff. Dabei hat das Bruderschaftswesen einmal eine große Rolle gespielt. Bruderschaften waren freiwillige Zusammenschlüsse von Christen auf dem Weg durch die Zeit, Gemeinschaften auf dem Weg zum Heil – oft ihrem eigenen Seelenheil. Deshalb schlossen sie sich zusammen, meist unter dem Patronat eines Heiligen, wählten einen Bruderschaftsmeister, vereinbarten regelmäßige Treffen, bei denen Gottesdienst gefeiert wurde, beschäftigten oft einen Priester, der für sie das Heil „verwaltete“. Die lebenslängliche Bitte um einen gnädigen Tod verband sich mit dem Gedächtnis an und Gebet für die verstorbenen Mitglieder der Laienbruderschaft. Für das mittelalterliche Köln ist ein Bestand von etwa 120 solcher Bruderschaften belegt. Im 14. Jahrhundert gab es allein in Bayern 212 Allerseelen-Bruderschaften, auch Gut-Tod-Bruderschaften genannt. Der eigene soziale Stand drückte sich in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bruderschaft aus. In Köln waren die Schneider in der Heilig-Kreuz-Bruderschaft zusammengeschlossen, in Neuss trafen sich die Kaufleute in der Nikolaus-Bruderschaft. Die Santiago-Wallfahrer und Interessenten waren in der Jakobus-der-Ältere-Bruderschaft zusammengeschlossen. Im Rheinland gibt es auch heute noch sehr aktive Matthias-Bruderschaften, die Fußwallfahrten zum dreizehnten Apostel Matthias in Trier veranstalten. Das Leben der Gemeinschaft regelten Statuten, in denen die Rituale festgeschrieben waren. Nach dem jährlichen Pflichtgottesdienst z. B. am Gedenktag des Bruderschaftspatrons saß man auch beim gemeinsamen Essen zusammen, was in der Kritik des Reformators Martin Luther bedeutete, die Bruderschaftsmitglieder hätten nur "eyn bier, eyn fressen und eyn sauffen? im Kopf. Natürlich konnte „das Zwischenmenschliche“ den eigentlichen Sinn einer Bruderschaft auf den Kopf stellen. Dies wird aber nicht primär den Grund für den Niedergang des Bruderschaftswesens ausmachen. Nicht nur das ständische Denken ist heute aufgegeben, auch Geselligkeit ist erheblich anders organisiert als früher. Und Religiosität hat heute einen Grad von Intimität, wie ihn früher nur die Sexualität hatte. Auch Gott wird heute nicht mehr ausschließlich in seiner Richterfunktion gesehen. Die religiöse Begründung besteht für viele Menschen nicht mehr, was großen Bruderschaften, die überlebt haben, heute oft das Leben schwer macht.