Maria – Mutter Jesu und erste Christin

Warum nicht nur Mai und Oktober von der Gottesmutter geprägt sind

In der Marienfrömmigkeit spiegelt sich der Glauben und die Glaubenslehre mit ihren Krisen über Jahrhunderte wider. Gegen gnostische Gottesvorstellungen wird im 3. Jahrhundert die Mutterschaft Mariens betont; seit der Mitte des 2. Jahrhunderts schon gilt Maria als die „neue Eva“. Seit dem frühen 5. Jahrhundert gibt es Gebete und Hymnen, die sich an Maria wenden. 431 benennt das Konzil von Ephesus Maria als „Gottesmutter“. Maria gilt als Urbild des Glaubens, Vorbild der Jungfräulichkeit. S. Maria Maggiore in Rom macht im 5. Jahrhundert die Entwicklung deutlich: Statt der alleinigen Christusdarstellung thront Christus auf dem Schoß Marias. Ab dem 5./6. Jahrhundert beginnen sich einzelne Marienfeste auszufalten. Maria wird Fürsprecherin der Christen, gilt als die Christus Nächststehende. Vier Aussagen prägen das Bild Mariens: Sie hat Jesus Christus als Jungfrau empfangen und geboren, sie ist die Mutter Gottes, sie selbst ist ohne Erbsünde empfangen, sie ist mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen.

Gibt es bereits zwischen Katholiken divergierende Ansichten über Maria und die Intensität und Formen ihrer Verehrung, so trennt die Marienauffassung vor allem Katholiken und Protestanten: Da Luther lehrte, jeder Christ sei gerecht und sündig zugleich (simul iustus et peccator), galt dies auch für Maria, die dadurch sündig und nicht von der Erbsünde befreit wäre. Auch die Gültigkeit und das Ausmaß dieser lutherischen Aussage über Maria wird in der Kirche der Reformation unterschiedlich gewichtet. Wie auch immer Maria theologisch akzentuiert wird: Sie ist eine der bemerkenswertesten Gestalten der Bibel, die durch ihren tiefen Glauben und ihr unbedingtes Ja zu Gottes Ratschluss fasziniert.

Es gibt zahllose verschiedenartige Mariendarstellungen in der Westkirche und bemerkenswert divergierende in der Ostkirche. Relativ häufig wird Maria auch als schwarze Madonna oder schwarze Muttergottes dargestellt, oft nicht Alterspatina oder Folge von Ruß und Rauch. Hier erfolgte wohl eine Gleichsetzung der schwarzen (= sonnengebräunten) Braut aus dem Hohelied mit der Gottesmutter, vgl. z.B. Hld 1,5. Die innige und gefühlsmäßige Verbindung zwischen der Gottesmutter und den Menschen ist tief in das religiöse Leben und den profanen Alltag eingedrungen. Maria ist die Schutzpatron vieler Nationen und Länder (z. B. Polen, Ungarn, Bayern – Patrona Bavariae), Städten, Kirchen, Altären, zum Beispiel auch der Seefahrer (stella maris = Meerstern) und von Hospitälern, Heimen, Schulen und natürlich von Quellen, Brunnen, Straßen und Plätzen. Jede Zisterzienserkirche steht unter dem Patronat Mariens. Mariensäulen gibt es in nahezu jeder katholischen Stadt. Durch das Skapulier, das Nonnen und Mönche, aber auch Mitglieder der Dritten Orden tragen, haben sich diese Menschen mit ihrem ganzen Leben Maria geweiht. Diese Marienweihe hat Pius XII. für die ganze Kirche vorgenommen, einzelne Bistümer wie z.B. das Erzbistum Köln haben sie eigens nachvollzogen. Der Name Maria gehört auch in den neunziger Jahren zu den beliebtesten Mädchennamen, wird allerdings auch Jungen als zweiter Beiname gegeben (vgl. Klemens Maria Hofbauer). Abarten des Namens Maria sind: Marie, Mary, Mareike, Mariel, Marietta, Marika, Marilyn, Marile, Marisa, Marita, Marion, Marja, Mirjam, Marijam.

Ohne zu übertreiben kann man sagen: Maria ist in der katholischen Kirche Mittelpunkt der Volksfrömmigkeit: Neben dem Kranz der Marienfeste, dem Marienjahr, ist sie Objekt spezieller Andachtsformen: Marien-, Rosenkranz- und Volksandachten wie der Salveandacht oder dem Frauendreißiger. Dreißigtägige Gebetsübungen waren die Mai- und die Rosenkranzandachten, aber auch der Dreißiger oder Frauendreißiger zwischen dem 13. bzw. 15. August und dem 13. bzw. 15. September. Hier sprach man besondere Gebete zu Ehren der Himmelskönigin. Diese „kirchliche Erntedankzeit“ beinhaltete auch das Sammeln von Blumen, Früchten und Kräutern, die von der Kirche geweiht wurden und die gegen Krankheiten und böse Geister helfen sollten. Der Samstag, als der der Maria besonders geweihter Tag, hatte und hat immer noch ein eigenes Messformular. Nach dem Volksglauben kommt an jedem Samstag die Sonne wenigstens einmal hinter den Wolken vor: Maria zuliebe. Die drei goldenen Samstage boten Marienmessen, denen eine besondere Wirksamkeit nachgesagt wurde. Die Tage haben ihre Namen von den goldenen Messen erhalten, die ab dem 14. Jahrhundert an Samstagen, besonders nach Michaeli (wegen Erntedank und Neujahr) oder auch nach Ostern, zu Ehren Marias als Sühne für die Vergehen des Jahres gefeiert wurden. „Golden“ hießen die Gottesdienste und Tage wegen der Wirkung, die ihnen zugeschrieben wurde. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die drei Goldenen Samstage noch gelegentlich im Alpenländlichen gefeiert. Einer – allerdings späteren – Legende nach, soll Ferdinand III. (1636–1657) die Feiern eingeführt haben.

Noch immer ist der Rosenkranz bei Katholiken das häufigste Requisit, das einem Toten mit in das Grab gegeben wird. Früher galt an den Marientagen ein Arbeitsverbot für die Frauen. Maria ist Patronin zahlreicher Bruderschaften und Ziel vieler Wallfahrten an unterschiedlichsten Orten (Altötting, Fatima, Kevelaer, Lourdes, Telgte, Neviges Tschenstochau …). Marienerscheinungen, die die Kirche genau prüft, ehe sie sie anerkennt, gibt es bis in die Gegenwart. Private Offenbarungen, weinende, blutende, schwitzende, sich bewegende Madonnen kommen jedes Jahr vielfach auf allen Kontinenten vor. Es scheint diese Erscheinungen überall zu geben: im Licht der Sonne, auf Verkehrsschildern, in Wasserpfützen.

Um Wallfahrten herum gruppiert sich eine spezifische Andachtsliteratur, unterschiedlichste Kopien der Andachtsbilder und -plastiken. Wie das Kreuz trugen und tragen die Menschen Medaillons („Wundertätige Medaille“) mit Abbildungen der Gottesmutter. Spezifische Gebetszettel (Länge Mariä, Mariä Traum) gab es ebenso wie gesegnete Marienbildchen, die bei Krankheit geschluckt wurden (Esszettel) wie kleine Madonnen aus Teig, gekaut, geformt und gesegnet durch Klosterleute. Diese Reibmadonnen zerrieb man bei Krankheit und mischte sie Tier und Mensch unter das Essen oder Futter. Mit den Wallfahrtsorten verknüpft sind zahllose Marienlegenden, die meist den Ursprung der jeweiligen Wallfahrt zu erklären versuchen; die Einzelheiten des „Maria hat geholfen“, wie es sich auf Votivtafeln oder symbolisch in Votivgaben zeigt, ist in Mirakelbüchern enthalten. Lichterprozessionen werden zu Ehren Mariens veranstaltet. Durch das Umhertragen einer Marienfigur, eines Marienbildes (Frautragen) soll der Segen der Gottesmutter ausgebreitet werden. Nicht nur die wundersüchtigen auch die reliquienversessenen Zeiten haben die erstaunlichsten Reliquien Marias hervorgebracht: Gewänder, Schleier, Gürtel – ein Gürtel der Maria in der Schwangerschaft könnte mehrere hochschwangere Großtiere gleichzeitig umschlingen –, Schuhe, Haare und sogar den Verlobungsring. Maria hat Auswirkungen auch auf Fauna und Flora. Pflanzen haben von den Namen: Marienblümchen, Mariendistel, Mariä Bettstroh …; Tiere: Marienkäfer, die Schwalbe gilt als Marien- oder Muttergottesvogel …; und Naturerscheinungen: die Marienfädchen im Altweibersommer, der Regenbogen, der als Marias Gewandsaum gilt. In der Kunst bieten die Mariendarstellungen in ihrer Differenziertheit, Ikonographie, Abhängigkeit vom zeitgeschichtlichen Kontext und regionalen Unterschiedlichkeit ein kaum überschaubares riesiges Arbeitsfeld.

Bis zum heutigen Tag spielt eine Kirche im Zusammenhang mit der Gottesmutter eine sin-guläre Rolle: Santa Maria Maggiore auf dem Esquilinhügel in Rom. Die Kirche wurde im 4. Jahrhundert gebaut und nach dem Konzil von Ephesus 431 von Papst Sixtus III. (432–440) der Gottesmutter geweiht. Weil nach einer Legende Schneefall im Sommer den Ort des Kirchbaus angegeben hatte, hieß der Weihetag von Santa Maria Maggiore, der 5. August, der seit 1568 im kirchlichen Kalender noch immer geführt wird, auch Maria Schnee.

Die Gottesmutter war und ist in ihrer Schlichtheit und Mütterlichkeit vielen Menschen näher als der unbegreifliche und allmächtige Gott.