Reden vom großen Christopher

Einem Christophoros, dessen vor der Reform des liturgischen Kalenders am 24. Juli gedacht wurde, ist nach einer Inschrift am 22. September 454 eine Kirche in Chalkedon geweiht worden, weshalb von einem Martyrer dieses Namens auszugehen ist.

Ohne dass es jedoch gesicherte Daten zu diesem Christophoros gab, bildeten sich um ihn Legenden, die sich in einen östlichen und einen westlichen Zweig aufspalteten. Nach einer Handschrift des 8. Jahrhunderts berichtet der Osten von einem Menschen fressenden Kynokephalen Reprobus, der in der Taufe den Namen Christophoros und die menschliche Sprache erhält. Als Missionar in Lykien tätig bestätigt ihn Gott durch einen grünenden Stab. Sein Martyrium erleidet er nach Folter durch Enthauptung. Den Reliquien verleiht Gott Wunderkraft und Schutz gegen böse Geister und Unwetter. Des ungewöhnlichen Legendmotivs vom Menschen fressenden Hundeköpfigen vermutet die Forschung den Ursprung der Legende im ägyptisch-gnostischen Bereich (verchristlichter Anubis).

Zum Westen hin verbreitete sich die Christophoros-Legende entlang der byzantinischen Pilgerstraße, eliminierte aber auf diesem Weg das Element der Bestie. Der Heilige wurde zum Riesen, das genus canineorum wird zur Herkunftsbezeichnung Cananeus, aus Kanaan. Die Legenda aurea erweiterte die Legende im 13. Jahrhundert um zeitgenössisches ritterliches Denken: Das Vasallenmotiv tritt hinzu. Aus Christophoros wird lat. Christoforus, Christophorus, Christofferus, Offerus, der nur dem Mächtigsten Herrn dienen will. Als er schließlich als Eremit Gott dadurch dient, dass er Pilger durch einen reißenden Fluss trägt, trifft er auf Christus, verborgen in der Gestalt eines Kindes. Unter der Last des Kindes droht Christophorus zusammenzubrechen. Da offenbart sich im Christus und tauft ihn im Fluss. Die Gottesbegegnung wird durch einen „grünenden Stab“ bestätigt. Diese aus den Südalpen stammende Legendenvariante wird auf dem Weg zum Norden um das Motiv des Fährdienstes und die Begegnung eines Heiligen mit Christus erweitert.

Im Westen wird Christophorus zu einem populären Heiligen, einem der Vierzehn Nothelfer. Seine Verehrung verbreitet sich über ganz Europa, ist ab dem 16. Jahrhundert auch in Amerika präsent. Angerufen wird er als Helfer in Gefahr, bei Unwetter und Dürre. Seines Fährdienstes wegen galt er als Patron der Pilger und Reisenden, Schiffer und Fuhrleute. Das Stabwunder machte ihn zum Patron der Gärtner. Heute ist der Heilige vor allem als Schutzpatron im Straßenverkehr bekannt; seine Plakette ist in vielen Autos angebracht. Zahlreiche Rettungshubschrauber tragen seinen Namen.

Der Gedanke an den Tod, das eigene Sterben, und die Angst, ohne Beichte und priesterliche Lossprechung dem gnädigen aber auch gerechten Gericht Gottes anheim zu fallen, beschäftigte den mittelalterlichen Menschen über alle Maßen. Die sprichwörtliche Sterbensangst war ganzjährig und lebenslänglich präsent, das Leben im Angesicht des Todes eine unabweisbare Realität, gegen die man sich vielfältig zu sichern suchte. Hierzu gehörten unter anderem trickreiche Vorsichtsmaßnahmen, wenn etwa der heilige Christophorus in vielen Kirche überlebensgroß in Eingangsnähe dargestellt wurde, weil man glaubte, wer ihn an einem Tag sehe, werde nicht Sünden beladen sterben. Vom 13. bis zum 16. Jahrhundert galt der Anblick des heiligen Christophorus als sicherer Lebensschutz bis zum Abend, als Schutz vor einem unvorhergesehenen Tod. Ritter brachten deshalb ein Bild des Christophorus an der Innenseite ihres Schildes an, Bürger malten ihn auf die Innenseite der Stadttore. Vor allem fand sich der Heilige überlebensgroß in oder an fast jeder Kirche wieder – gemalt oder als Plastik – , damit jeder Gottesdienstbesucher auch beim Besuch der Kirche des heiligen Christophorus ansichtig wurde.

Die Christophoruslegende liefert auch den Grund für die Verbalisierung des Namens zu christoffeln: Da der Heilige auch zu Wohlstand verhelfen sollte, stand das Verb für das Beschwören eines Schatzes, zaubern, magisches Tun und – im übertragenen Sinn – das Bleigießen, das die Zukunft zeigen soll. Das Verb „christoffeln“ leitet sich ab vom Christoffelgebet, in Wahrheit eine Zauberformel, die den Teufel zum Erscheinen zwingen sollte, und die bei der Schatzsuche verwendet wurde. Im so genannten Christoffelgebet tauft Jesus Christophorus und ernennt ihn dann zu seinem Schatzmeister. Weil Christophorus somit auch Herr aller verborgenen Schätze ist, soll das Christoffelsgebet den Teufel zur Mithilfe bei der Schatzsuche zwingen.

Ein wenig von der großen Bedeutung des heiligen Christophorus hat sich in der nicht mehr weit bekannten Redensart erhalten: „Vom großen Christopher reden“. Ausgedrückt wird hier, dass einer dreiste Zuversicht zur Schau stellt, wie sie sich eigentlich nur ein Christophorus hätte leisten dürfen. Auch in einer anderen Redensart lebt das Wesen des Heiligen weiter: „Er hat einen Christoffel, der ihn über Wasser trägt“, benutzt das legendarische Bild des heiligen Christophorus, um auszudrücken, dass einer Hilfe gewährt, zu der der Betroffene selbst nicht in der Lage ist.