Das Herz-Jesu-Fest

Gottes Herz als Maßstab unseres Herzens

Am dritten Freitag nach Pfingsten feiert die Katholische Kirche das Herz-Jesu-Fest. – Herz-Jesu-Fest? Sind das nicht die schmalzig-süßlichen, vorwurfsvoll blickenden Andachtsbildchen und schmachtenden Plastiken, die sich die Brust aufreißen und ein mit Dornen umwundenes Herz vorweisen „Herz-Jesu“ Das erinnert an ellenlange, unverstandene Andachten in Kindertagen. Ein unbegreifliches Fest mit einer Symbolik aus der Kitsch-Kiste? „Ja“, werden einige sicher sagen: Das Bild vom Herzen Jesu ist „kaputtbesetzt“ von der Herz-Schmerz-Fraktion, durch Schlager, Muttertags-, und Valentinstagpoesie geradezu plattgesülzt.

Und trotzdem, gerade deshalb lohnt es sich, tiefer unter der Kitsch-Kiste nachzusehen. Unter dem banalen Gefühlsmatsch von oberflächlichem Herz-Schmerz-Gesülze ist nämlich etwas Originäres zu entdecken. Aber man muss schon gegen den Strom der Zeit schwimmen, will man zu den Quellen kommen. Die fremdbesetzten Begriffe müssen entstaubt, gereinigt und in einen verständlichen Sinnzusammenhang gesetzt werden.

Papst Pius IX. führte 1856 das Herz-Jesu-Fest für die ganze Kirche ein und weihte 1875 die ganze Christenheit dem göttlichen Herzen. Am 10. Januar 1915 wurde Deutschland von den katholischen Bischöfen dem heiligsten Herzen Jesu geweiht. 1910 war in Paris die monumentale Basilika „Sacré Coeur“ auf dem Märtyrerberg, dem Montmartre, fertiggestellt worden. Im 18. und 19. Jahrhundert sind etliche Frauen- und Männerkongregationen entstanden, die sich dem Herzen Jesu gewidmet haben. 1980 hat Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika „Dives in misericordia“ (30.11.1980) geschrieben: „Die Kirche bekennt und verehrt das Erbarmen Gottes, … indem sie sich an Christi Herz wendet. Tatsächlich erlaubt uns gerade die Hinwendung zu Christus im Geheimnis seines Herzens, bei diesem Thema der Offenbarung, der erbarmenden Liebe des Vaters, zu verweilen, das den innersten Kern der messianischen Sendung des Mensch gewordenen Gottessohnes ausmacht: ein zentraler Punkt und gleichzeitig der dem Menschen am leichtesten zugängliche“ (Nr. 13).

Auch wenn der Papst grundsätzlich damit recht hat, dass der Zugang zum Herzen als Symbol der Menschlichkeit für jedermann leicht ist, so schwer ist es dennoch heute für die meisten Menschen, das Herz als Archetyp des Menschlichen zu begreifen, „Geist in der Nähe des Blutes“, wie Romano Guardini einmal gesagt hat. Der Weg zu einem Herzen, das sich als seelisch-geistiges Zentrum des Menschen versteht, ist vielen verstellt: Die Medizin hat das Herz zu einer austauschbaren Blutpumpe gemacht; in der omnipräsenten trivialen Unterhaltungsmusik ist das Herz zu einem banalen Leerbegriff geworden, bei dem sich „Herz“ nur noch auf „Schmerz“ zu reimen scheint; dieses Desaster komplettieren die gut gemeinten Herz-Jesu-Darstellungen des 19. Jahrhunderts, die eine Art von gefühlvoller Innerlichkeit zu vermitteln suchten, die uns sehr fremd, ja geradezu befremdlich geworden sind.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut“, hat Saint-Exupéry vor über fünfzig Jahren geschrieben – ein Satz, der heute noch gerne zitiert wird. Diese spezielle Art des Sehens war es, die den Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld, der, vor mehr als 400 Jahren geboren, und als Gegner des Hexenwahns heute noch vielen bekannt, lebenslänglich geprägt hat. Dieser Spee war ein Mann mit Herz: Mit einem Herzen für die Geschöpfe Gottes, mit einem Herzen für die gequälten und geschundenen Menschen, mit einem Herzen für Gott, den er als Schöpfer und liebenden Herrn begriff. In seinem epochemachenden Liederbuch, der „Trutz-Nachtigall“, endet ein Refrain: „O Mensch ermeß im hertzen dein, / Wie wunder muß der Schöpffer sein!“ oder „O Gott ich sing von hertzen mein, / Gelobet muß der Schöpfer sein“. Spee spricht die Sprache des Herzens. Er sieht die Geschöpfe mit dem Herzen. Und das schönste Geschöpf Gottes, den Menschen, blickt er aus dem Herzen an. So kann er jeden einzelnen Menschen als Idee Gottes erkennen und im Herzen eines jeden Menschen das Bild Gottes erblicken, nach dem der Mensch geschaffen ist.

Der Evangelist Johannes berichtet vom Tod des Messias und der beiden mitgekreuzigten Verbrecher: „Weil Rüsttag war und die Körper während des Sabbats nicht am Kreuz bleiben sollten, baten die Juden Pilatus, man möge den Gekreuzigten die Beine zerschlagen und ihre Leichen dann abnehmen; denn dieser Sabbat war ein großer Feiertag. Also kamen die Soldaten und zerschlugen dem ersten die Beine, dann dem andern, der mit ihm gekreuzigt worden war. Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, dass er schon tot war, zerschlugen sie ihm die Beine nicht, sondern einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut und Wasser heraus. Und der, der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. Und er weiß, dass er Wahres berichtet, damit auch ihr glaubt. Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllte: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen. [Ex 12,46; Ps 34,21] Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben,„ [Sach 12,10].

Der am Kreuz erhöhte Jesus Christus bringt sich zum Opfer dar; ihn und sein Erlösungswerk feiert jede Eucharistiefeier. Das Kreuz ist der Ernstfall der Liebe. Christi durchbohrte Seite eröffnet den Menschen das Heil, ist Ursprung der Kirche und der Sakramente. Das offene Erlöserherz wird zur Quelle allen Heils. Jesu Sühnetod fordert unsere Umkehr und Sühne. Die Herz-Jesu-Verehrung bringt Herz zu Herz: Das Herz des Gekreuzigten und Auferstandenen wird zum Maßstab des menschlichen Herzens. Das durchbohrte Herz Jesu wird zu einer lebendigen Quelle: Hier entspringt das Ursakrament, die Kirche. In der Taufe, der sakramentalen Wiedergeburt aus Wasser und Geist, ersteht das neue Volk Gottes. Und wie das Wasser aus der Seite Christi der Taufe entspricht, wurde das Blut Christi seit eh und je auf das Sakrament der Eucharistie bezogen. In diesem Sinne sagte Augustinus (354–430): „Mit Bedacht wählte der Evangelist sein Wort, er sagt weder: Er durchstach seine Seite, noch: Er verwundete sie oder etwas Ähnliches, sondern: Er öffnete sie, so dass sich dort gewissermaßen eine Tür auftat, der die Sakramente der Kirche entströmten, ohne die niemand zu jenem Leben, welches das wahre Leben ist, Zugang hat.“ – „Der Herr des Lebens hat durch sein Sterben den Tod besiegt. Aus dem Tod am Kreuz strahlt die Herrlichkeit Gottes“ (Peter-Hans Kolvenbach SJ).

So wie Jesus Christus seinen Tod als stellvertretendes Sühneopfer begreift, so hat die christliche Mystik stets die Teilnahme an diesem Opfer gesucht. In diesem Sinne ist der „Herztausch“ der Katharina von Siena zu verstehen. In diesem gleichen Sinn betete Margareta Maria Alacoque: „Heiligstes Herz Jesu, Du Inbegriff der Liebe, sei Du uns Schutz im Leben und Unterpfand des ewigen Heils. Sei Du uns Stärke in Schwachheit und Unbeständigkeit. Sei Du die Sühne für alle Sünden unseres Lebens.“ Bei Friedrich von Spee heißt es: „Nime es ab von ihm und gebe es mir. Ich bin bereit, dir zu lob für ihn zu leiden.“ Das stellvertretende Leid, die Sühne für andere, bleibt nicht folgenlos. Für den Jesuiten Spee war die Pflege der pestkranken Soldaten ursächlich für den eigenen Pesttod. Der Sühnetod Christi, Quelle des menschlichen Heils, ist nicht nur ein Element der Betrachtung, des Gebetes, der Versenkung geblieben. Christus ähnlich zu werden haben Menschen immer wieder auch dadurch zu werden gesucht, dass sie sich wie Christus für andere Menschen zur Sühne bereitgefunden haben. Und wie Christus haben sie dabei den Tod in Kauf genommen, ihr Leben für das der anderen eingesetzt.

Das Fehlen eines liebenden Herzen beim Menschen ist schon im Alten Testament als Defizit beschrieben. Das prophetische Wort des Ezechiel (11,19; 36,26): „Und ich will euch ein einträchtig (neues) Herz geben und einen neuen Geist in euch geben, und will das steinerne Herz aus eurem Leben wegnehmen und fleischernes Herz geben“ ist von Christen nicht nur auf Christus und die Kirche bezogen worden, sondern bewirkte auch eine reiche Herzmetaphorik und Herzemblematik in Wort und Bild.

Die Metapher vom „steinernen Herz“ ist bis in die Märchenwelt eingedrungen. Fromme Traktate jesuskindlicher Frömmigkeit berichten, wie das „Bambino Gesù“ die verkommenen Herzen der Gläubigen aufräumt und heilsbereit macht. Herzen von Märtyrern werden in den heiligen Leichen unversehrt entdeckt; Jesuskindverehrern zerspringt das Herz vor Liebe; auf dem Herzen finden sich Zeichen und sogar ganze Sätze, die sich auf Jesus beziehen. Das menschliche Herz, verstanden als symbolhafte Personenmitte, wurde als Tempel Gottes oder als Tanzsaal des Teufels gesehen. Und diese Bilderwelt wies nicht nur der Katholizismus auf. Der sinnlichkeitsreduzierte Protestantismus zog bildhaft parallel: Auch hier pflügt Christus den Acker des Herzens, sät heilende Kräuter und jätet Unkraut. Die Symbolhaftigkeit des menschlichen Herzens ließ sich sogar noch nach dem Tod eines Menschen zeigen: Die Wittelsbacher ließen ihren Leichen, die in die Familiengruft verbracht wurden, das Herz entnehmen, um es auch körperlich der Muttergottes von Altötting zu widmen. Entsprechend der Herz-Jesu-Verehrung hat sich im Lauf der Jahrhundete auch eine Herz-Mariä-Verehrung ausgebildet. Vom hohen Rang des allgemeinen Herz-Verständnisses, zeugen auch die Begriffe „herzlich“ und – in Form eines irrealen Superlativs – „herzlichst“, die wir heute fast rituell als Merkzeichen der Vertrautheit verwenden.

Die Trivialisierung der Herzbilder in der profanen Liebesdichtung zieht ihre Bilder wesentlich aus der religiösen Literatur – ist ohne sie gar nicht denkbar. Das bekannte mittelhochdeutsche Liebeslied eines unbekannten Dichters, das das volkstümliche Bild vom Herzensschlüssel verwendet, kann sowohl als mystisch als auch irdisch-real verstanden werden:

Du bist mîn, ich bin dîn:
Des solt du gewis sîn.
Du bist beslozzen
in mînem herzen:
Verloren ist daz slüzzelîn,
du muost immer drinne sîn.

Die Verehrung des Herzens Jesu konzentriert sich seit dem 14./15. Jahrhundert dagegen auf das innerste Wesen Jesu, die Essenz seiner Bedeutung: die Erlösung der Menschen durch den Sühnetod, die aufopfernde, dienende Liebe, das sich auf die Erfüllung des Gotteswillen konzentrierende Leben.

Die Sprache des Herzens wird heute – aller Verkitschung zum Trotz – ebenso verstanden wie vor Jahrhunderten. Wenn alles nach Preis und Leistung, Quantität und Qualität berechnet wird, fällt es auf, wenn einer gegen den Strich bürstet. Ein unbekannter junger Ordensmitbruder in den Niederlanden hat zu Lebzeiten Spees geschrieben: „Nicht eingeschlossen werden vom Größten, sich umfangen lassen vom Kleinsten – das ist göttlich.“ Die unverkitschte Sprache des Herzens rührt an unser Herz, weil sie erleben lässt: Gott hat ein menschliches Herz. Und jeder kann so sprechen, wenn er sein Herz für Gott, die Schöpfung, den Mitmenschen öffnet. Wer ein mitfühlendes Herz hat, der gilt als Mensch, auch wenn er nicht der Leistungsfähigste, der Größte oder der Schnellste ist. Eine oder einen mit Herz, die oder den hoffen wir alle zu finden, weil wir uns da gut aufgehoben wissen.

Herz Jesu, das ist natürlich Innerlichkeit, emotional-gläubige Annäherung an das Geheimnis Gottes; das geöffnete Herz Jesu ist aber auch seit altersher Zeichen der Geburt der Kirche, weshalb das Herz-Jesu-Fest am dritten Freitag nach Pfingsten, dem „Geburtstag der Kirche“, stattfindet. So wie sich Ostern in jedem Sonntag widerspiegelt, spiegelt sich das Herz-Jesu-Fest in jedem ersten Freitag eines Monats wider: dem Herz-Jesu-Freitag. Die Herz-Jesu-Verehrung will steinerne Herzen durch liebende Herzen nach dem Vorbild Christi ersetzen. Streben nach Vollkommenheit, Sühnebereitschaft, Christus- und Menschenliebe sind ihr Motiv. Auf einem Kelch steht eingraviert zu lesen: „Herr, meine Hände geben dir mein Herz. Nun gib dein Herz meinen Händen.“

Vielleicht haben unsere Vorfahren, denen wir uns oft so überlegen fühlen, doch nicht immer falsch gelegen. Denn sie beteten: „Jesus, sanftmütig und demütig von Herzen, bilde unser Herz nach deinem Herzen.“ Gottes Herz als Maßstab für unser Herz – das ist es, was dieser Tag lehren will.