Laetare – ein Fastensonntag mit Geschichte(n)

Roséfarbene Meßgewänder, goldene Rosen und ein Muttertagsvorläufer an „Mittfasten“

„Freu’ dich, Jerusalem“, so beginnt seit vielen Jahrhunderten das Eingangsgebet des 4. Fastensonntags. Lateinisch heißt dies: „Laetare, Jerusalem“, so daß dieser Fastensonntag seit dem Mittelalter „Laetare“ genannt wurde. Das „theologische Programm“ dieses mitten in der Quadragesima, der vierzigtägigen Fastenzeit, gelegenen Sonntags war und ist die Freude angesichts der bevorstehenden Erlösung. Wie Moses aus der Ferne das Gelobte Land, sieht der Christ von Laetare aus das Osterfest. Nur an diesem einzigen Tag im Jahr trug der Priester die liturgische Farbe „Rosa“, und natürlich war an Laetare schon immer das Fasten ausgesetzt: An diesem Tag durfte der Christ „secundam carnem“ (gemäß dem Fleisch) leben; während die Fastentage ihm sonst nur gestatteten, „secundam spiritum“ (gemäß dem Geiste) – also unter Verzicht auf fleischliche Genüsse – zu leben. Laetare war eine Art „Bergfest“ und hieß auch „Mittfasten“.

Laetare ist – wie schon zuvor der erste Fastensonntag Invocabit – mit Frühlingsbräuchen verknüpft, in denen vorchristliche und christliche Naturvorstellungen lebendig sind. Der Kampf zwischen Sommer und Winter zu Laetare im Brauchtum hat aber liturgische Wurzeln: Introitus und Lesung des Tages thematisierten den Gegensatz von Trauer und Freude. Das Feuer, Symbol der Sonne, des kommenden Sommers, soll die Natur wecken, Fruchtbarkeit bewirken. Die Frühlingsbräuche sind im wesentlichen Frühlingsspiele. Das Scheibenschlagen ist heute noch üblich: Glühende Holzscheiben oder brennende Karrenräder wurden von einem Hügel oder Berg ins Tal laufen gelassen. Funkenschlagen, das Schwenken einer mit Stroh umwickelten brennenden Stange, hatte den gleichen Sinn. Beim Saatgang zog man mit brennenden Fackeln durch die Felder. Fackelschwingen oder Fackelwettrennen waren gleichfalls üblich. Saatwecken war auch ein Oberbegriff für Scheibenschlagen, Fackelschwingen etc. Noch heute, am Sonntag „Laetare“, werden in Rheinhessen und in der Pfalz traditionell Sommertagsumzüge durchgeführt, bei denen auf buntgeschmückten „Stecken“ die „Sommertagsbrezeln“ mitgetragen und anschließend verzehrt werden.

Wo Frühlingsbräuche noch an diesem Tage üblich waren (Saatwecken, Todaustreiben, Winteraustreiben, Winterverbrennen, Schwarzer Mann usw.) hieß Laetare auch Schwarzer Sonntag. Sommer(sonn)tag ist ein weiterer Name, weil – im Rahmen der Frühlingsbräuche – der Sommer angesungen wurde. Das Frühlingsfeuer im Schwarzwald wurde am Fackeltag abgebrannt, manchmal wohl auch erst nach Rückkehr von Kuckuck, Nachtigall und Schwalbe, weshalb das Feuer auch Kuckucksfeuer hieß. Wahrscheinlich wegen ihres Eifers beim Brauchtum des Tages nannte man den Tag auch Knäbelessonntag. Die Tagesbezeichnung Jungfernfastnacht bezeichnet die Sitte, Mädchen und Mägde an diesem Tag zu beschenken. Hutzelsonntag nimmt Bezug auf den Brauch, an diesem Sonntag ein Gericht aus getrockneten Birnen (= Hutzeln) zu kochen. Der Name Brot- und Käsesonntag war in den Niederlanden üblich. Dort besuchte man an diesem Tag Freunde und Nachbarn und ließ sich mit Brot und Käse bewirten, weil man glaubte, an diesem Tag siebenerlei Brot essen zu müssen. In Westfalen brachten die Mädchen den Nachbarn den Frühling. Sie flochten aus Efeu einen Funkenkranz, der über der Herdstelle aufgehangen wurde. Die Beschenkten mussten die Mädchen mit Wasser bespritzen, ein alter Fruchtbarkeitszauber. In der Schweiz stellten Verliebte und Jungverheiratete Lichter ins Fenster. Bunt Verkleidete brachten ihnen ein Ständchen und wurden durch einen Imbiss belohnt. In Belgien bricht zu Halbfasten, wie Laetare dort heißt, noch einmal die Fastnacht aus: vormittags Maskenumzüge, abends Maskenbälle. Dabei trat der Graf von Halbfasten, manchmal begleitet von der Gräfin von Halbfasten, auf, der die Kinder beschenkte.

Die symbolische Verabschiedung des Winters gehörte mit zu den Frühlingsbräuchen. In Form einer Holz- oder Strohpuppe wurde der Winter in Schlesien vor das Dorf getragen und ertränkt oder verbrannt. In einigen Gegenden Deutschlands schloss sich an das Winterverbrennen das Totenfangen an, ein Fangspiel der Jugendlichen. Als ob der Tod sie selbst verfolgte, stoben die Kinder davon. Mancherorts trieb sie ein Jugendlicher in der Rolle des „Schwarzen Manns“. Ähnlich lief das Winteraustreiben ab. Ein durch Los als „Winter“ bestimmtes Kind wurde von allen anderen aus dem Dorf gejagt. Die Winteraustreiber teilten dabei Schläge mit grünen Zweigen aus, der segenspendenden Lebensrute. In Schlesien wurde der „Tod“ ertränkt, gehüllt in ein weißes Leichenkleid. Die heimkehrenden Mädchen brachten einen geschmückten Tannenzweig als Sommerdocke (= Sommerpuppe) mit. Die warme Jahreszeit begrüßten die Kinder einiger Gebiete mit dem Stab-Aus-Fest. Mit weiß geschälten Holzstangen ausgerüstet, teilten sich die Kinder in zwei Gruppen. Die eine wurde vom „Winter“ angeführt, einem mit Stroh verkleideten Jungen, die andere vom „Sommer“, einem mit Efeu drapierten Jungen. Beim folgenden Scheingefecht hatte natürlich immer der „Winter“ das Nachsehen. Im Schwarzwald wurde ein Winterbär ertränkt. In Thüringen holte man den Wilden Mann oder auch den Laubmann aus dem Wald hervor: ein in Zweige und Grün gewickelter junger Mann, der als Frühlingssymbol durch das Dorf geführt wurde. Der Riesen- oder Schwerttanz wurde in einigen Dörfern aufgeführt. Beim Reigentanz trat Wotan als Riesengestalt mit Frigga, seiner Frau, in den Kreis. Spielerisch wurde die Befreiung der Erde (= Frigga) dargestellt. Vor der Zeit als der Tanz bloß gesellschaftliches Amüsement wurde, hatte Tanzen Segenswirkung. Im Rahmen der Frühlingsbräuche deuteten die Hochsprünge der Tänzer die Höhe des Korns im Sommer an.

Als Sommerverkünder wurde früher die erste Schwalbe („Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer“), der erste Storch oder der erste Maikäfer begrüßt. Wer als erster ihre Ankunft meldete, durfte eine Dankesgabe erwarten. Die feierliche Begrüßung geschah durch das Anblasen vom Kirchturm durch den Türmer. Frühlingsherold hieß in den Städten der, der das erste Veilchen entdeckte. Türmer und Frühlingsherold erhielten einen Ehrentrunk. Im gleichen Sinn wurde das erste Veilchen begrüßt. Es durfte im Mittelalter nur von einem ausgesuchten Mädchen gepflückt werden. Im 12. Jahrhundert zog in Wien der Herzog mit seinem gesamten Gefolge in die Donau-Auen, wenn das erste Veilchen entdeckt worden war. Das erste Veilchen war in Dörfern vielfach ein Festanlass für ein Frühlings- oder Sommerfest: das Veilchenfest. Zum Tag Laetare und zu den Frühlingsbräuchen, die den Sommer begrüßen, gehört das alte Sommerlied: „Tra, ri, ro / der Sommer, der ist do!“

Laetare hieß in England zu Zeiten von Heinrich III. (1216–1239) „Mothering Sunday“, ein Tag, an dem der „Mutter Kirche“ für ihre Mutterschaft gedankt wurde. Zu diesem Feiertag der Kirche gehörte es schon damals, daß auch gegenüber der leiblichen Mutter an diesem Tag Dank ausgedrückt wurde – ein Vorläufer des heutigen „Muttertages“. Auch diejenigen Kinder, die ihr Elternhaus bereits verlassen hatten, trafen sich mit der ganzen Familie im Elternhaus. Der Dank der Kinder gegenüber den Eltern wurde durch den simmel cake, den Semmelbrösel-Kuchen, ausgedrückt, dessen reichhaltige Zutaten schon auf Ostern verwiesen.

Im Mittelalter gab es an Laetare einen ganz besonderen Brauch: An diesem Tag überreichte der Papst die Goldene Rose, weshalb der Tag auch Rosensonntag oder Rosentag hieß. Nachgewiesen ist dies erstmals für 1049 unter Papst Leo IX. (1049–1054). Mit der goldenen Rose in der Hand trat der Papst vor die Gläubigen und wies damit auf die Passion Christi hin (Christus wurde bildhaft als Rose gedeutet, vgl. das Lied „Es ist ein Ros’ entsprungen …“). Der Brauch wurde bis das 19. Jahrhundert hinein ausgeübt und scheint sich später nicht nur auf Rom beschränkt zu haben. Die goldene Rose steht für Christus in doppeltem Sinn: Das Gold der Rose symbolisiert die Auferstehung, die Dornen die Passion. Die Rose zu Laetare diente dazu, wie Kardinal Petrus de Mora, Bischof von Capua, erklärte, den Gläubigen zur Minderung der Trauer über das Leiden Christi den Ruhm des Herrn bei der kommenden Auferstehung anzuzeigen. Die „goldene Rose“ war ein Rosenstrauß aus sechs Rosenzweigen mit sechs Blüten, getrieben aus vergoldetem Silber. Die sechs Blüten waren mit Moschus und Balsam gefüllt. Nach Papst Innocenz III. (1198–1216) sei die Verbindung, die Gold, Moschus und Balsam eingehen, ein Bild dafür, wie die Seele den Körper mit Gott verbinde. Seit dem 11. Jahrhundert schenkte der Papst die Rose Mitgliedern der Kurie, später verdienten Fürsten. Drei mittelalterliche „goldene Rosen“ haben sich erhalten: eine im Pariser Musée Cluny (Anfang 14. Jh., ehemals Baseler Münsterschatz), eine in Andechs (1454) und eine in Siena (1485).

Indirekt hat der Rosensonntag auch den Rosenmontag hervorgebracht. Die Bezeichnung des Fastnachtsmontages als Rosenmontag ist erst nach 1823 in Köln entstanden. Das Festordnende Comitee in Köln, das am Sonntag Laetare, dem Rosensonntag tagte, hatte für 1823 einen Karnevalsumzug am Montag nach dem Fastnachtssonntag organisiert. Nach dem am Rosensonntag tagenden Gremium in Verbindung mit dem Umzugstag wurde der Umzug benannt: als Rosenmontagsumzug.