Sebastian, der Heilige mit den Pfeilen

1731 stickten die Angehörigen der Pfarrei Schliersee eine Pestfahne. Auf der einen Seiten, umrahmt von einem Zweigornament, stand die – in zeitgenössischer Orthographie zitierte – Bitte an den heiligen Sebastian:

„O Heiliger Sebastian
vor All bereith 100 Jahrn
Hat Schlierßee dein Hilff erfahren
da Hunger Krieg und sterben
die Gegent wolt verderben
aufs Ney wür unß darstellen
Zum schutzhern dich Erwehlen
Krieg Hunger und Pest wende hindan
o Heiliger Sebastian“

Auf der anderen Seite zeigte sich der Heilige als kämpferischer Soldat, der mit einem Schild niederzuckende Blitze, die Pest, Hunger und Krieg darstellen, abwehrt. Der heilige Sebastian, in unsere Gegend heute mehr Patron der Schützen bekannt, als Schutzherr gegen Krieg, Hunger und Pest.

Sebastian gilt als römischer Martyrer, wahrscheinlich aus der diokletianischen Verfolgung zu Beginn des 4. Jahrhunderts. Bereits im Altertum genoss er im christlichen Abendland große Verehrung. Seine Sekundärreliquien, Gegenstände, die sein Grab berührt hatten, werden in spanischen und afrikanischen Schriften erwähnt. Sein Gedächtnistag, der 20. Januar, steht in der Depositio martyrum des Chronographen im Jahr 354. Ein anderes Martyrologium bestätigt diesen Termin und bezeichnet die Grabstätte. Sie lag an der via Appia in einem unterirdischen Gang des Coemiteriums „ad Catacumbas“ in der Nähe der Memoria der Apostel Petrus und Paulus. In der Mitte des 4. Jahrhunderts wurde über diesem Ort die Basilica Apostolorum errichtet, später Basilica Sebastiano genannt. Sie Grabstätte des heiligen Sebastian wurde unter der linken Seite des Mittelschiffs zu einer unterirdischen Kapelle erweitert.

Nach einer Mailänder Überlieferung stammte die Mutter Sebastians aus Mailand. Zum Ende des 4. Jahrhunderts wurde er in Mailand verehrt. Die Legende des heiligen Sebastian aus dem 5. Jahrhundert, historisch nicht belegt, beschreibt Sebastian als Offizier der kaiserlichen Garde, der wegen seines christlichen Glaubens auf Befehl Kaiser Diokletians mit Pfeilen erschossen und als vermeintlich tot liegen gelassen wurde. Irene, die christliche Witwe des Martyrers Kastulus, soll ihn gefunden und gesund gepflegt haben. Wegen seines erneut freimütigen Bekenntnisses seines Glaubens hat der Kaiser erneut seine Hinrichtung befohlen; Sebastian wurde nun durch Keulenschläge tatsächlich getötet. Sein Leichnam wurde in die Gloaca maxima geworfen, von Christen geborgen und bestattet.

Der Pfeil stand symbolisch für plötzlich auftretende Krankheiten und wurde vor allem im Zusammenhang mit der Pest gesehen, weil die Vorstellung bestand, die Pest werde von Pestengeln oder Pestdämonen durch geheimnisvolle Pfeile hervorgerufen. Sebastian wurde spätestens seit dem 7. Jahrhundert gegen die Pest angerufen – im 15./16. Jahrhundert gesellte sich der heilige Rochus dazu. Schon um 680, während einer Pest, wurde in der römischen Kirche S. Pietro in Vincoli ein Altar zu Ehren des Pestpatrons Sebastian errichtet. In weiten Bereichen des christlichen Abendlandes, vor allem aber in Italien, Deutschland und Frankreich, entstanden Sebastianus-Bruderschaften zur Pflege und Bestattung von Pestkranken, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zur „Gebetsabwehr“ dieser und anderer Seuchen und zur Durchführung von Pestprozessionen. Der Heilige wurde auch bei Verwundungen angerufen und gegen Viehseuchen, so dass er in einigen Gegenden (z.B. Elsass und Oberpfalz) auch als Viehpatron verehrt wurde. Seine Rolle als bekenntnismutiger Offizier brachte es mit sich, dass die Kreuzritter und Zinngießer, vor allem aber die Schützengilden und Schützenkorps („Sebastianusbrüder“), Sebastian zum Patron wählten. Die ältesten Sebastianusbruderschaften sind für das Jahr 1300 für Brüssel, Randerath und Nettesheim belegt. In den Laudes der Kaiserkrönung wurde er zusammen mit den heiligen Georg und Mauritius als „Heeresheiliger“ angerufen. Reliquien Sebastians – ein Oberarm schenkte Papst Innocenz IV. – befinden sich seit 1250 im Franziskaner-Kloster Hagenau/Elsass sowie angeblich im Kloster Ebersberg/Oberbayern. Das Haupt des heiligen Sebastian wird in einem Reliquiar aus dem 7. Jahrhundert in SS. Quattro Coronati in Rom aufbewahrt. In Rom, Echternach und andernorts zeigte man sogenannte Sebastianuspfeile, die angeblich vom Martyrium des Heiligen stammten. Nachbildungen davon trug man früher als Körperschmuck oder hing sie an seinen Rosenkranz als Schutzmittel gegen die Ansteckung mit Pest. In Ebersberg erwarben die Pilger zinnerne Sebastianuspfeilchen als Andenken und tranken aus der angeblichen Hirnschale des Heiligen gesegneten wein. Anderswo trank man am Sebastianustag die „Sebastianusminne“ und verschenkte geweihte „Sebastianusbrote“.

Die älteste Darstellung des Heiligen in der Caecilia-Krypta der Kallistkatakombe zeigt ihn in Tunika und Pallium (5. Jh.), als bärtigen Mann in kaiserlicher Hoftracht erscheint er auf einem Mosaik in S. Pietro in Vincoli (Ende 7. Jh.). Das durch Pest bedrängte Mittelalter bildet Sebastianus besonders häufig ab, aber erst seit der Renaissance wird Sebastian als schöner, wohl geformter und entblößter Jüngling gefesselt an einen Baum oder Pfahl gezeigt. Pfeile haben ihn durchbohrt, aber nicht getötet. Manchmal hält er auch Pfeile in der Hand.