„König Midas, die drei Weisen, Nikolaus und die Punks“
Die phrygische Mütze als Symbol der Aufmüpfigen
Ein Hut überhöht seinen Träger, lässt ihn sprichwörtlich größer werden. Als „Ritualhut“ ist er ein Kennzeichen der Herren und Herrschenden. Eine Mütze dagegen signalisiert den niederen Stand. Eine ganz bestimmte Mützenform, die bis in die Gegenwart lebendig ist, hat eine Jahrhunderte lange, ungewöhnliche und nahezu unbekannte Karriere hinter sich: die phrygische Mütze.
Von dem sagenhaften König von Phrygien, Midas I., wird berichtet, er sei vom Gott Apoll mit Eselsohren bestraft worden, weil er in einem musischen Wettstreit dem Gott widersprochen habe. Eselsohren waren auch schon in der Antike für einen König eine unangemessene körperliche Ausstattung. Midas, dem der Sage nach alles zu Gold wurde, was er anfasste, ließ sich deshalb listig eine besondere Mütze anfertigen, damit die Eselsohren verdeckt blieben. Das besondere Kennzeichen dieser spitz zulaufenden Mütze war der nach vorn geneigte Zipfel. Die Geheimhaltung scheiterte aber schon bald am königlichen Friseur, dessen Mitteilungsdrang genetisch veranlagt gewesen sein muss, schließt man auf die heutigen Mitglieder dieser Innung. Trotz strengster Strafandrohung plauderte dieser Figaro sein Wissen um die königlichen Ohren aus und lieferte die Begründung gleich hinterher.
Aber was sich wie ein Lauffeuer als Allgemeinwissen verbreitete, führte nicht zur Lächerlichkeit des Königs. Im Gegenteil. Die Mütze wurde zum Symbol für den offenen Widerspruch des kleinen Mannes und „der da unten“ gegen die Bevormundung der „von oben“. Das aufrührerische, obrigkeitskritische und oft sogar illegale Tun dieser so Bemützten wurde im Lauf der Geschichte vielfach dargestellt. Unter der phrygischen Mütze erscheinen die Amazonen, die geborenen Feinde der – damals – geltenden patriarchalischen Ordnung. Paris, der Prinz von Troja, wird mit phrygischer Mütze dargestellt, hat er doch Helena mit illegalen magischen Mitteln verführt. Die Altarbilder in den römischen Mithräen zeigen den Stiertöter Mithras mit phrygischer Mütze. Bereits in etruskischer Zeit gelangte die Symbolmütze der Phrygier als Erkennungszeichen freiheitsbewusster Lebenshaltung nach Italien.
Das christliche Abendland und die christliche Ikonographie kamen schon recht früh mit der phrygischen Mütze in Berührung. Zuerst taucht die gezipfelte Mütze als Kopfbedeckung der heiligen Dreikönige auf. Weil die in der Geburtserzählung Jesu erwähnten Magier aus dem Osten kamen, erhielten sie – lange bevor sie zu Königen wurden – phrygische Mützen, so zu finden auf Sargreliefs des 3. und 4. Jahrhunderts und auf den berühmten Mosaiken in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert. Hier kennzeichnen die phrygischen Mützen die Herkunft der Mützenträger aus Kleinasien und ihren Stand, die Zugehörigkeit zu den Priestern. Unter die phrygische Mütze der drei Weisen passt sicher auch noch die Unvereinbarkeit ihrer – nicht näher bekannten – religiösen Auffassungen mit Judentum und Christentum.
Während der Renaissance erhält die phrygische Mütze zwei Geschwister: die Baskenmütze und das Barett – nicht zu verwechseln mit der priesterlichen Kopfbedeckung, dem Birett. Baskenmütze und Barett wurden Kennzeichen der von Natur aus liberalen Künstler. Auch die nationalbewussten Freiheitskämpfer wie etwa Garibaldi trugen noch im 19. Jahrhundert demonstrativ das Barett, das bei anderen schon zu einer alltäglichen häuslichen und damit bedeutungslosen Kopfbedeckung verkommen war. Typisch für alle drei Mützen: Man zieht sie nicht mit mehr oder minder großer pathetischer Geste beim Grüßen wie einen Hut, sondern behält sie auf dem Kopf. Während der Hut, zumindest beim Herrn von Welt, korrekt mittig getragen wird, sitzen Baskenmütze und Barett betont asymmetrisch und damit provozierend auf dem Kopf. Sie drücken erkennbar die Geisteshaltung ihres Trägers aus, sinnfällig beim Baskenmützenträger Heinrich Böll oder Arbeitgeberhutträger Thomas Mann erkennbar.
Und was hat der heilige Nikolaus mit der phrygischen Mütze zu tun?
Eine ganze Menge. Als der Heilige im 19. Jahrhundert säkularisiert und entmystifiziert wurde, als der religiöse Bezug dieser Gestalt für viele Menschen verloren ging, da verlor Nikolaus auch alle Attribute, die ihn als Bischof kennzeichneten: Messgewand oder Chormantel, Bischofsstab und Brustkreuz – und natürlich auch die Mitra. Er wurde auch äußerlich zu einem weltlichen Mann. Statt dessen erhielt er einen langen Mantel – oft in braun-grün oder rot – und vor allem eine nach vorn geneigte Zipfelmütze. Die phrygische Mütze wird hier zum – verborgenen – letzten Kennzeichen für die Herkunft aus Kleinasien und die Zugehörigkeit zum priesterlichen Stand.
Dieser neue Typ, der säkularisierter Nikolaus, wird von dem Arzt Heinrich Hoffmann (1809–1894) in seinem selbst gezeichneten Bilderbuch „Struwwelpeter“, das 1845 erstmals gedruckt erschien, als Archetyp dargestellt. Der „Nikolas“ von Hoffmann zeigt durch sein Handeln seine Wandlung: Als die Buben seiner Mahnung nicht folgen, wird er „bös und wild“ und „er tunkt sie in die Tinte tief.“ Interessanterweise sind es drei Jungen – die Symbolzahl des heiligen Nikolaus, der drei Feldherren (Stratelaten), drei Jungfrauen mit drei Goldklumpen und drei eingepökelte Studenten rettet. Während aber der Heilige vor Tod und Verderben rettet, übt der böse Nikolas Rache. In dieser säkularen Personifikation ist nicht mehr allein der heilige Bischof enthalten, sondern auch die strafende Teufelsfigur, die je nach Landschaft unterschiedliche Namen trug.
Der Nikolas des Arztes lag durchaus im Trend der Zeit, ist keineswegs typologisch ein Unikat. Zipfelmützige Träger langer Mäntel und langer Bärte gibt es um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu Haus. Moritz von Schwind zum Beispiel veröffentlicht 1847 eine solche Figur, die einen mit brennenden Kerzen bestückten Tannenzweig über einen städtischen Platz trät. Diesem säkularisierten Nikolaus wurde gleich auch noch der Name wegsäkularisiert. Er heißt „Herr Winter“ und liefert damit die Vorlage zur Verzweigung der Nikolausgenealogie in die antichristliche Ideologie des Kommunismus, wo er bald als „Väterchen Frost“ in den Dienst genommen wurde.
Der von den Niederländern, die als Reformierte bis heute nicht vom heiligen Nikolaus gelassen haben, nach Amerika exportierte Nikolaus, gedieh dort zunächst auch als Heiliger. Er wurde z.B. Patron von Neu Amsterdam, das dann – von den Engländern in Besitz genommen – zu New York mutierte. Ähnliches geschah nun dem heiligen Nikolaus. Zunächst noch als Saint Claus im Bewusstsein der Menschen, gerät er durch das Fehlen des liturgischen und konfessionellen Hintergrundfolie schnell ins Abseits. Er wird – unter deutscher Mitwirkung – zum „Father Christmas“ – der Eingangsfigur der immer weiter nach vorn verlängerten Weihnachtszeit und zum Symbol weihnachtlicher Kauforgien und Konsumräusche. Wie der Glockenklang bei den Pawlowschen Hunden den Speichelfluss hervorruft, soll das Erscheinen der Weihnachtsmannes Kaufanreiz und weihnachtliche Konsumgefühle auslösen.
Deutsche Mithilfe bei der Prägung des amerikanischen Weihnachtsmannes leistete ein Pfälzer, Thomas Nast, der – in die Staaten ausgereist – als Zeichner arbeitete und die Figur des Pfälzer Nickels, unschwer als Nikolausvariante zu erkennen, mit dem vorgefundenen mutierten amerikanischen Nikolaus verband.
Der bei Hoffmann noch eher asketisch wirkende Nikolaus wird nun zum gemütlichen Dickerchen. Freundliche Schläue und altersmüde Trotteligkeit bieten Anlass zur Bildung zahlreicher neuer säkularer Legenden. Er versorgt „liebe Kinder“ mit den obligatorischen Geschenken zu Weihnachten, die nicht mehr den Charakter von Symbolgeschenken haben, also nicht mehr das Paradies im Jenseits im Heute aufleuchten lassen. Der Weihnachtsmann arbeitet an der Verwirklichung des Paradieses auf Erden. In dieser Funktion taucht er auch in den 30er Jahren erstmals in der Werbung von Coca Cola auf. Rotweiß gewandet in den Hausfarben des Limonadenkonzerns prägt sich dieser Typ weltweit als aktueller Weihnachtsmanntyp ein – und behält als untrügliches Kennzeichen seiner Herkunft die phrygische Mütze.
Wenige Jahrzehnte vor Hoffmanns Nikolas-Zeichnung haben die politischen Ideologen der Aufklärung und Säkularisation, die französischen Jakobiner, die phrygische Mütze als die ihnen artgemäße Kopfbedeckung wieder entdeckt. In der Jakobinermütze ist der kleinasiatische Mütze unschwer zu erkennen. Kein Sturm auf die Bastille ohne Jakobinermütze, die – nach dem Sieg der Revolution – unter den neuen Machthabern ganz schnell wieder aus dem Verkehr gezogen wurde. Symbole der Aufmüpfigkeit sind nicht mehr gefragt, wenn die Aufmüpfigen selber herrschen.
Die Jakobinermütze wird ihrerseits zur Vorlage der modernen Narrenkappe. Das 19. Jahrhundert folgerte aus dem alten Sprichwort „gleiche Brüder, gleiche Kappen“ für die Narren „gleiche Narren, gleiche Kappen“. Die Ehre, die moderne Narrenkappe vorgeschlagen zu haben, besitzt kein Alemanne, Bayer oder gar Rheinländer, sondern – man höre und staune – ein Preuße. Generalmajor Baron von Czettritz und Neuhaus hat 1827 die Einführung dieser Kappe in Köln vorgeschlagen. Markant für die ersten „modernen“ Narrenkappen wie für die gegenwärtigen ist die – wenigstens an einer Stelle – nach vor gebogene Spitze, wie sie eben für die phrygische Mütze typisch ist. Die „Verzierung“ mit langen Fasanenschwanzfedern, mit bunten Steinen etc. symbolisiert die lächerliche Eitelkeit des Narren. Man kann sich oft des Eindrucks nicht erwehren, dass einzelne Kappenträger vergessen haben, dass ihre Kopfbedeckung die Eitelkeit lächerlich machen, nicht aber erneut vorführen soll.
Der von manchen Zeitgenossen hochgeschätzte Gartenzwerg kann für sich in Anspruch nehmen, eine Mutation des säkularen Nikolaus darzustellen. Die Verzwergung des Heiligen zum Leitbild der Heile-Welt-Vorstellung „kleiner Leute“ entstand erstmals um 1880 in Thüringen und wirkt bis heute nach – in Ton, in Plastik und auf Papier. In Amerika gab es eine parallele Entwicklung: Der amerikanische Santa Claus tritt gelegentlich zusammen mit en miniature geklonten „Little Helpers“ auf. Natürlich tragen die Little Helpers ebenso wie die – nur in Terrakotta – echten Gartenzwerge rote phrygische Mützen. In den „Schlümpfen“ haben diese säkularisierten Miniatur-Nikoläuse schon wieder eine neue species gebildet.
Wer glaubt, dass damit die Geschichte der phrygischen Mütze am Ende angekommen ist, muss sich eines Besseren belehren lassen. Die phrygische Mütze kann man ohne Stoff und sogar ohne Mütze nachbilden. Die Punks, die ihre Haare bis auf einen Kamm scheren, rot färben und aufgerichtet nach vorn geneigt tragen, ahnen sicher nicht, dass sie mit ihren Haaren die phrygische Mütze nachbilden. König Midas würde sich sicher wundern, sähe er seine Epigonen.