Die Osterfahne als Kennzeichen des Triumphes über den Tod
Eine „Fahne“ ist meist ein rechteckiges, an einer Stange befestigtes Stück Stoff, uni- oder mehrfarbig, manchmal mit Symbolen versehen. Die Fahne (vom althochdeutschen „fano“ = Tuch) stellte im gesamten indogermanischen Raum ein Identifikationssymbol dar und wurde sowohl im sakralen als auch im profanen Bereich benutzt. Sie unterscheidet sich vom meist quadratischen Banner, der (Reiter-) Standarte und der Flagge, die es alle jeweils mehrfach gibt, z.B. als Nationalflagge. Fahnen dagegen sind nahezu immer Unikate. Im lateinischen Westen scheint die Fahne ihr Vorbild in den Feldzeichen der römischen Legionen (signa) zu haben, die sich über ein quer zur Stange angebrachtes Tuch (vexillum) entwickelt hat. In Antike und Mittelalter wurde die Fahne ganz allgemein zu einem militärischen Feldzeichen, mit dem Aufkommen des Wappenwesens zu Anfang des 12. Jahrhunderts auch zum Macht- und Schutzsymbol. Im Lehnswesen demonstriert die Fahne Rechts- und Besitzansprüche. Im 16. Jahrhundert wurde die Fahne beim Militär Zeichen der Einheit der Truppe, Symbol für soldatische Ehre und Treue. Im 18. und 19. Jahrhundert fast mystisch verklärt, hat die Fahne kaum noch militärische Bedeutung, sondern wird Erkennungszeichen traditionell ausgerichteter ständischkorporativer Gruppen: z. B. für Kirche, Adel, Universitäten, studentische Verbindungen, (Schützen-) Vereine, Zünfte, Parteien.
Die Fahne hat im Christentum zunächst keine Rolle gespielt, war sogar verpönt. In strengem Gegensatz zu den Fahnen des Heidentums kannten die Christen anfangs nur das Kreuz als religiöses Siegeszeichen (vexillum crucis oder vexillum Christi). Erstes Anzeichen für eine Überbrückung des Bruchs mit der Vergangenheit war das Labarum Konstantins des Großen („In diesem Zeichen wirst du siegen …“). Aber bis in das 9. Jahrhundert hielt die kirchliche Reserviertheit gegen die Fahne an. Erst seit diesem Zeitpunkt tritt die Ecclesia, die allegorische Darstellung der Kirche, mit einer Fahne auf. Seit dem 10. Jahrhundert gibt es Kirchenfahnen zu liturgischen Zwecken. Sie symbolisieren den Triumph Christi und der Heiligen. Die Oster- oder Auferstehungsfahne zeigt sich zuerst als rotes Velum (= Schal) auf, mit dem das Kreuz zu Ostern geschmückt wurde, vergleichbar dem römischen Feldzeichen nach einem Sieg. Christus, der Auferstandene, wird mit diesem Siegeszeichen in der Hand dargestellt, für das sich die Bezeichnung „Osterfahne“ einbürgerte. Die Fahnenstange mit der Querstrebe, an der ein Tuch herabhängt, entwickelt sich neben dem mit dem Velum umschlungenen Kreuz. Symbolisch wird das Gleiche ausgedrückt, wenn statt Christus ein Lamm, das Osterlamm, wiedergegeben wird. Auch das Osterlamm führt die Osterfahne mit sich.
Heiligenfahnen gewannen an Bedeutung, als die Fahnen in kriegerischen Dienst genommen wurden. Eine besondere Stellung erwarb das vexillum S. Petri, eine Fahne, die der Papst verlieh, wenn ein Kriegszug zum „heiligen Krieg“ wurde. Seit dem 10. Jahrhundert verbreiteten sich Fahnen als Attribute des Erzengels und Bannerträgers Michael, Kirchweihfahne, die Zeichen der Kirchweihfreiheit war, Bruderschaft-, Vereins- und Prozessionsfahne.
Eigene Riten entstanden: Die Fahnenweihe z. B., für die es seit dem Mittelalter liturgische Texte gibt. Gelbweiß als „Kirchenfarben“ bürgerte sich ein. Mit der Fahne verband sich Symbolik. Ihrer Bedeutung als Hoheitszeichen wegen wurde und wird die Fahne nur von Offizieren getragen (Fahnenoffizier, -junker, Fähnrich). Als Sieges- und Herrschaftszeichen musste „die Fahne hochgehalten“ werden. Ausnahmen gab es nur gegenüber Gott und dem Regenten. Das Fahnensenken gilt bis heute als Reverenz nur für Gott (bei der Wandlung, vor der vorüberziehenden Eucharistie in der Monstranz) und den residierenden Fürsten. Mangels regierender Fürsten senkt sich heute die Fahne auch vor einem Schützenkönig. Gesenkt wurde und wird die Fahne aber auch aus Ehrfurcht vor Toten und aus Trauer (Halbmastbeflaggung). Mancherorts gab es schwarze Fahnen, die als Zeichen des Todes einem Leichenzug voran getragen wurden. (Die schwarze Piratenflagge, ergänzt durch grinsenden Totenkopf und gekreuzte Gebeine, nimmt diese Symbolik ironisch auf). Das Fahnenschwenken sollte die Segenswirkung, die mit der Fahne verbunden war, der Allgemeinheit enthalten. Dies galt aber nicht nur für das allgemeine Fahnenschwenken, sondern auch für das individuelle: Durch Schwenken der Fahne über einem Ehrlosen wurde dieser wieder ehrlich gemacht. Die Fahnen kirchlicher Prozessionen demonstrierten somit nicht nur den Triumph und die Herrschaft des Gekreuzigten, sondern entfalteten auch seinen Segen. Außerhalb des Christentums gibt es zahlreiche – auch sehr viel weitergehende – Bräuche im Zusammenhang mit Fahnen, erinnert sei nur an die grüne Fahne des Propheten Mohammed oder die Gebetsfahnen der Tibeter.